achter Tag – der Film: The Silence of Others

Sektion: Panorama Dokumente

von
Almudena Carracedo
Robert Bahar
USA / Spanien 2018
Spanisch
Dokumentarische Form
95 Min
Weltpremiere
https://www.berlinale.de/de/programm/berlinale_programm/datenblatt.php?film_id=201815206#tab=video25

Ich war noch nie in Spanien, aber falls ich dort mal hinkommen sollte, werde ich immer an den Filmausschnitt denken, in dem die alte Frau Blumen an einer Leitplanke befestigt und sagt, dass dies hier ein Massengrab ist – hier, wo die Straße verläuft.

Kurz gesagt, geht es um das 1977 vom spanischen Parlament beschlossene Amnestiegesetz, das nicht nur die Freilassung aller politischen (linken) Gefangenen garantiert, sondern auch jegliche Strafverfolgung der unter Franco stattgefundenen Diktaturverbrechen verbietet. Ein ungeheuerlicher Schachzug, der bis heute verhindert, dass Mörder und Folterer von damals belangt werden können. 

Das bedeutet, dass der Peiniger eines der Protagonisten unbehelligt nur ein paar Ecken entfernt von seinem Opfer in Madrid wohnt, dass alte Frauen, ihr Leben lang darum kämpfen, zu wissen, in welchem Massengrab ihre ermordeten Eltern liegen und sich wünschen, wenigstens mit deren Gebeinen zusammen beerdigt zu werden, dass Menschen nicht zur Ruhe kommen, weil nicht darüber gesprochen wird, was damals geschehen ist. Es kommt auch noch zu Tage, dass Müttern, die nicht systemkonform waren und vielleicht auch noch unverheiratet, in einer andalusischen Geburtsklinik gesagt wurde, ihr Kind sei tot – um es ihnen weg zu nehmen und in andere Familien zu geben.

Aus der Filmbeschreibung weil es so treffend ist: Über einen Zeitraum von sechs Jahren sprachen die Filmemacher mit Opfern, Angehörigen und Menschenrechtsanwälten über deren langjährigen Kampf um Schuldeingeständnisse und eine Aufhebung des Amnestiegesetzes. Sie dokumentieren, wie eine Bewegung buchstäblich vom Küchentisch aus große Aufmerksamkeit gegen verdrängtes Unrecht erzeugen und einen international angelegten Prozess bewirken konnte, bei dem gegen 20 ehemalige Täter des Franco-Regimes Haftbefehle ausgestellt wurden. Intelligent montiert und in symbolhafter Bildsprache zeichnet der Film ein Abbild einer noch immer zwischen Vergessen und Vergangenheitsbewältigung tief gespaltenen Gesellschaft.

Der Gruppe von engagierten Menschen gelingt es – ausgerechnet über ein argentinisches Gericht – überhaupt die Aussicht auf Strafverfolgung zu erreichen, weil Straftaten wider die Menschenrechte keiner Verjährung oder Amnestie unterliegen. Die argentinische Richterin sagt (sinngemäß) einen einfach klingenden, aber im Zusammenhang überwältigenden Satz: „Das berührt mich sehr, aber jetzt muss ich damit sachlich umgehen.“ 

Die Frage, die wir uns stellen: Warum wussten wir davon bisher nichts? Das spielt sich immerhin in Europa ab. Wir sind uns einig, dass nicht nur das Thema heftig ist, sondern dieser Film ausgezeichnet gemacht, geradezu komponiert ist! – Ich finde er sollte unbedingt einen Preis bekommen – und während ich hier schreibe, bekomme ich mit, dass er den Panaorama-Publikums-Preis für Dokumentarfilme bekommen wird. Super, das freut mich sehr!

Außer diesem Film befasst sich mindestens ein weiterer Berlinalefilm mit dem selben Thema, er kommt aus Uruguay und lief im Forum: One or two Questions von Kristina Konrad (Deutsche Co-Produktion!)
 
Und noch ein Buchtipp dazu:
Jaume Cabrés „Die Stimmen des Flusses“