Sektion: Wettbewerb
Russische Föderation / Polen / Serbien 2018
Russisch m UT
126 Min
Weltpremiere
von
Alexey German Jr.
Leningrad im November 1971:
6 Tage im Leben von Sergej Dovlatov (1941–1990), eines jungen Autors, teils armenischer, teils jüdischer Herkunft. Er will schreiben, am liebsten einen Roman, aber er stagniert, er wird nicht in den Schriftstellerverband aufgenommen und seine Manuskripte werden regelmäßig abgelehnt, weil seine Sicht der Dinge nicht erwünscht ist. Er schreibt sogar für eine Werftzeitschrift, aber auch dort sind seine Texte zu ironisch, die Offiziellen wollen, dass er „positiver“ schreibt und mit Herzblut – auch über die absurdesten oder banalsten Situationen. Immer wieder soll er seine Texte umarbeiten und letztlich werden sie doch wieder abgelehnt. Alles um ihn herum stagniert auch, seinen Freunden und Kollegen geht es genauso mit ihren Texten, Gedichten, Bildern. – Zu seinem Freundskreis gehört Joseph Brodsky (1940 – 1996), 1972 aus der UdSSSR ausgebürgert, Nobelpreisträger von 1987. – Er will in Russland leben mit seiner Frau Lena und der Tochter Katya, ist bereit, dafür Opfer zu bringen, sich auch mit einem bescheidenen Leben zufrieden zu geben, aber nicht, sich zu verbiegen und zu schreiben, was ihm nicht entspricht.
Der Film ist lang; beeindruckend vor allem durch die Bilder, weniger durch die Dialoge. Es wird ununterbrochen getrunken und geraucht, in den vollgequalmten Räume hängt ein dunstiger Braunschleier. Draußen ist es kalt, nebelig, alles verlangsamt durch Kälte und Schnee. Beeindruckt hat mich in erster Linie die Ausstattung der Wohnungen, die sich unüberschaubar viele Menschen teilen müssen; die Einrichtung! – liebevoll bis ins letzte Detail, das sieht nicht aus wie aufgebaut, sondern so wie ich es aus den 70er/80er Jahren kenne. Dabei entstehen Bilder verschiedener Innen- und Außenansichten, wahrhaftig Tableaus, die man so ausschneiden und aufhängen könnte.
Zwischendurch ist der Film aber auch langweilig und spannungsarm.
Eindrucksvoll wiederum fand ich die Szenen, in denen die Chefredakteurin massenhaft eingereichte Manuskripte in die Altpapiersammlung gibt und die Stapel draußen im Schnee liegen, – so viel Vergeblichkeit und Missachtung!
Russische Zeitgeschichte kommt vor in Form eines Gefangenenlagers, während des U-Bahn-Baus entdeckter Leichen, der Namen verbotener Autoren (Nabokov, Mandelstamm, Pasternak) und bildet den Hintergrund.
Witzig, wie sich Dovlatov lustig macht über die Machtstruktuen, die allgegenwärtige Angst, die Absurditäten.
Andere verzweifeln: ein Kollege schneidet sich die Pulsadern auf, ein anderer wirft sich bei seiner Verhaftung vor ein Auto und stirbt. Die Ausweglosigkeit der Situation ist zum Greifen.
Was mich dann noch berührt: Der Druck-Satz seines ersten Buches wurde auf Befehl des KGB vernichtet. Dolvarov publizierte einige Geschichten in westlichen Zeitschriften wie Continent, Time und We und musste 1978 die UdSSR verlassen, er ging mit seiner Familie in die USA, lebte in New York, bis er mit 48 Jahren starb. In den 12 Jahren seines Exils veröffentlichte er 12 Bücher und heute ist er ein vielgelesener Autor in Russland.http://www.tagesspiegel.de/kultur/russischer-film-dovlatov-im-wettbewerb-literarische-rebellion-in-eiseskaelte/20974542.html
Der Film läuft im Wettbewerb, deshalb gibt es keine Q&A, aber die Filmcrew kommt auf die Bühne.