Sektion: Encounters – Österreich 2024 – 118 Minuten
Sprache: deutsch, türkisch, Englische Untertitel
Wir starten in die 74. Berlinale mit dem neuen Film von Ruth Beckermann. Von ihr habe ich 2018 “Waldheims Walzer” gesehen.
Nun hat sie (mit Elisabeth Menasse als Drehbuch-Co-Autorin) einen Dokumentarfilm in einer Schule im Wiener Bezirk Favoriten gedreht. Mit einem Film-Team haben sie Kinder von der zweiten bis zur vierten Klasse gefilmt. Ziemlich zu Beginn des Films erklärt der – erstaunlicher Weise weder zynische noch klagendsame (er hätte viele Gründe) – Schulleiter dem Kollegium, dass leider die Sozialarbeiterin woanders noch mehr gebraucht wird und deshalb nicht mehr zur Verfügung steht und die Schulpsychologin wegen Schwangerschaft auch demnächst nicht mehr kommt.
Man sieht die Kinder mit ihrer beeindruckenden Lehrerin Ilkay Idiskut in ihrem ausgesprochen kleinen Klassenzimmer, im Unterricht, beim Interagieren, bei Bewegungsspielen, Konflikten, Elterngesprächen, etc. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern und kulturellen Hintergründen (Syrien, Serbien, Rumänien, Mazedonien, der Ukraine, Tschetschenien, der Türkei,…). Alle kämpfen nicht nur mit der deutschen Sprache.
Durch die Kamera kommt man den Kindern sehr nah. Es ist erstaunlich, dass die Anwesenheit der Kamera offenbar gar nicht stört und ich kann mir kaum vorstellen, wie der Kameramann sich in der bestehenden Enge des Klassenraumes überhaupt bewegen konnte. Man bekommt die Spannungen mit, das Ringen der Kinder mit all den Anforderungen, ihr Scheitern, ihre Fortschritte und ahnt ihre Konflikte im Feld zwischen Schule, Elternhaus, Religion, Herkunft und neuer Heimat,…
Bemerkenswerte Szenen:
- Die Bewegungen der Kinder zum Lied “Körperteil-Blues”
- Zwei Jungs versuchen den Begriff “Kultur” zu erklären
- Ausflug in den Stephans Dom (nein, römisch-katholisch haben wir nicht in der Klasse)
- der unbeholfene und unsäglich ignorant wirkende Priester, der ohne Zusammenhang und ohne irgendwas zu erklären vom Leib Christi im Tabernakel spricht , dafür aber ständig wiederholt, dass der Stephans Dom jedem gehört (oberpeinlich)
- die Erklärungen zur Entstehung des Ukraine-Krieges aus zwei unterschiedlichen Positionen
- der Junge, den die Lehrerin zu seiner Haltung zur Gewalt gegen andere befragt
Es gibt sehr viel Aplaus für den Film und anschließende Q&A mit Ruth Beckermann (im grünen Hosenanzug). Die auch anwesende Lehrerin (2. von links) ist leider heiser.
Eine Frage aus dem Publikum: inwieweit R. B. von der Langzeit-Dokumentation “Die Kinder von Golzow” beeinflusst ist. – Gar nicht. Sie kennt diese Doku nicht.
Ich bin begeistert von dem Film, musste lachen, weinen, habe mit den Kndern gelitten und habe Einblicke bekommen, die ich sonst nicht habe und die ich mich noch beschäftigen.