Sektion: Wettbewerb Italien/Schweiz 2024 106 Minuten
Sprache: italienisch, deutsche und englische UT
Wieder Zoo-Palast, diesmal sehen B. und ich einen Wettbewerbsfilm, aber leider auch den letzten der diesjährigen Berlinale, mehr Karten haben wir nicht bekommen.
Inzwischen weiß ich, dass das Zauberwort „Früheinlass“ (für Menschen mit Behinderung) heißt. Das ist super, nur leider sitzt B. in der S-Bahn fest. Die Leute am Einlass heute sind informiert und hilfreich, sie lassen mich schon rein, die S-Bahn fährt irgendwann weiter und so sitzen wir schließlich fröhlich und entspannt zusammen im großen Saal.
Heute geht es nach Venedig im Jahr 1800 in eine heruntergekommene Musikschule für verwaiste Mädchen. Wir haben es mit einem Kostümfilm der etwas anderen Art zu tun. Schon der Anfag ist fulminant und ungewöhnlich: eine junge Frau (Teresa) verteilt Rhythmusinstrumente an Kinder, als nächstes sieht man den Hof der Musikschule und viele junge Frauen, die Wäsche waschen, aufhängen, den Hof fegen,… und schließlich im zur von Teresa imaginierten Rhythmus tanzen und ihre Arbeit verrichten, das alles sehr schwungvoll und gut gelanut – bis die Szene abbricht und in die Ralität zurückfällt.
Aufregung in der Musikschule entsteht durch die Ankündigung, dass der Papst nach Venedig kommt und ihm natürlich ein besonderer Empfang bereitet werden, am besten mit einem neu komponierten Meisterwerk. Dafür ist Maestro Perlina zuständig, der das Orchester der jungen Frauen leitet und eine Mischung aus despotisch und trottelig ist. Er bringt nichts zustande und verzweifelt. Das Angebot der Mädchen, die selbst komponiert haben, lehnt er voller Ignoranz ab.
Den Mädchen der Musikschule wird ein Flügel gespendet, der aber als Teufelszeug gilt und dehalb im Keller versteckt wird. Die stumme Teresa entdeckt in beim Putzen. Mit dem Flügel entdeckt Teresa ihre Musikalität und letztlich auch wieder ihre Stimme. Sie probiert etliches aus und es entstehen dabei auch Jazz-Rhythmen und ein Hauch von Swing. Damit wird spätestens klar, dass dies kein üblicher Kostümfilm ist.
Es kommen noch vier andere Mädchen dazu und Nacht für Nacht treffen sie sich nun heimlich dort, experimentieren, konkurrieren, improvisieren. Sie verlassen ihre zeitgenössische Barockmusik.
Wenn man sich auf die Anarchie und den Witz einlässt, macht der Film Spaß. Und es gibt einen historischen Hintergrund: Solche „Ospedali“ genannten Einrichtungen haben in Venedig tatsächlich eine Tradition und gelten als Vorläufer der Konservatorien. Das bekannteste ist das „Ospedale della Pietà“, in dem auch Vivaldi unterrichtete. Peter Schneider hat darüber den Roman „Vivaldis Töchter“ geschrieben.
Die Handlung des Filmes eskaliert schließlich im Besuch des Papstes, die Schülerinnen schalten ihren fürchterlichen Maestro aus, indem sie einschließen und dann ihre Musik spielen, was zu ungewohnter Dynamik in der Kirche führt, ein Teil der Gemeinde tanzt begeistert, andere kollabieren und der Papst flippt aus.
Die Regisseurin Margherita Vicaria ist eine italienische Schauspielerin und (Pop-)Musikerin. Sie hat den Film allen Komponistinnen und Musikerinnen dieser Zeit gewidmet, die unbekannt geblieben sind. Wie in ihrem Film polarisiert sich auch die Reaktion des Publikums: bei der Premiere zwei Tage vorher gab es begeisterten Applaus und Buhrufe.
Wir haben die Leichtigkeit genossen und als Gegengewicht zu dem vielen Schweren genommen.