Lesung und weiterer Absturz

E., A. und ich gehen also zur Lesung von Manfred Flügge – sie findet in Zehlendorf statt und wir sind neben dem Buchhändlerpaar vermutlich die jüngsten im vollen Veranstaltungsraum, was mich etwas bestürzt.

Wäre es „nur“ eine Lesung, wäre es schon durch Manfred Flügges Stimme angenehm (es schlafen einige Leute zufrieden ein), aber er liest lange erstmal nicht, sondern erzählt von seinem Prozess: wie er auf Eva Herrmann kam, sich entschloss, trotz vieler Gegenargumente doch über sie zu schreiben, 4 Jahre intensiver Recherche in München, Berlin, Moskau, New York, Sanary, Kalifornien und andernorts und besonders spannend – mit welchen inneren und äußeren Widerständen er zu tun hatte. Die inneren Widerstände überwand er, die äußeren – die Unzugänglichkeit Moskauer Archive – nicht.

Eva Herrmann kannte nicht nur eine Vielzahl der bedeutendsten „Kulturschaffender“ ihrer Zeit, sie hatte unter zum Teil skurrilen Umständen längere Affären mit einigen von ihnen. Und sie war selbst Künstlerin, sie malte, zeichnete und vor allem karikierte die Menschen in ihrer Umgebung (die Manns, Feuchtwangers, Einstein, J.R. Becher, Aldous Huxlex,…). Viele davon wurden in amerikanischen Zeitungen der 30/40er Jahren publiziert und es muss jede Menge Buchillustrationen von ihr geben, die bislang nicht extra gesammelt wurden. Hier kann man einige der Karikaturen sehen:

http://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/EN/Persons/herrmann-eva-en.html

Gegen Ende ihres Lebens drehte sie etwas ab. M. Flügge macht keinen Hehl daraus, wie er es findet, dass sie Diktate von Verstorbenen empfing und sie mit dem Titel „Von drüben“ mit einem postmortalen Nachwort von Thomas Mann publizierte. Aber in dem, wie er darüber spricht, bleibt er an der Seite seiner Protagonistin ohne sie lächerlich zu machen.

M. Flügge hat eine genaue (auch Selbst-) Beobachtungsgabe, das beeindruckte mich. Eine kleine feine Veranstaltung war das, v.a. weil wir so viel Interessantes über den Hintergrund dieses vielschichtigen Buches erfuhren.
Als ich es vor einiger Zeit las, wand ich mindestens genauso viel Zeit wie fürs Lesen fürs weitere Recherchieren zu vielen anderen auftauchenden Personen auf. Das war sehr spannend und wird jetzt durch die zusätzlichen Informationen aufgefrischt.

Hinterher gab’s bei E. und A. noch leckeren französischen „Perlwein“ und wir versuchten in Vorbereitung für weitere Kartenbestellungen, auf die Berlinaleseite zu kommen – die war aber nicht erreichbar. (siehe auch http://tinaundsteve.blogspot.de/2017/02/nicht-erreichbar-not-accessible.html)
Offenbar hatte sich das Problem vom Mittag auf den gesamten Berlinale-Server ausgebreitet.