Der Film
Sascha Anderson (*1953) war ein in West wie Ost bewunderter Star der DDR-Literatur- und Kunstszene in den 80er Jahren. 1986 übersiedelte er nach West-Berlin. 1990 kam raus, dass er seine Freunde und Kollegen über Jahre für die Stasi bespitzelt hat. Er hat sich regelmäßig mit seinen Führungsoffizieren getroffen und unter drei verschiedenen Deckamen seitenlange Berichte und “psychologische Einschätzungen” abgegeben, auch nach seinem “Umzug” nach West-Berlin arbeitete er weiter für die Stasi. Enttarnt wurde er von Wolf Biermann und Bruno Fuchs.
Ann Kathrin Hendel (*1964) baut in einem Studio detailgetreu die Küche nach, in der sich die Freunde in den 80er Jahren im Prenzlauer Berg trafen. Dort interviewt sie Sascha Anderson und Ekkehardt Maaß, außerdem spricht sie mit Wilfriede Maaß, die sich wegen Anderson von ihrem Mann trennte und anderen ehemalige Freunde, zu denen auch Roland Jahn (Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde) gehörte.
Sie fragt Anderson nach seiner Motivation für den Verrat an den Freunden und wie er heute dazu steht. Dazu gibt es Musik, Fotos und Filmausschnitte von damals, auch ein Gedicht Andersons wird mehrfach zitiert: “Vor dem Gartenhaus stehen drei Birken, die heißen / Schuld und Sühne, ich weiß welche die Liebste mir ist”. Deutlichere Antworten gibt er nicht.
Sie spricht ebenso mit den ehemaligen Weggefährten und Bespitzelten, von denen Ekkehardt Maaß am deutlichsten seine Wut äußert: “In anderen Gesellschaften hätte man ihn nicht überleben lassen, da steht auf Freundesverrat der Tod.”. Alle anderen sind erstaunlich zurückhaltend mit Ärger, Wut oder ähnlichen Emotionen. Sie sind vor allem enttäuscht.
Q&As
Außer Roland Jahn sind alle ProtagonistInnen des Films anwesend. Jetzt wird auch klar, warum nicht alle in einer Reihe sitzen, sondern übers Kino verstreut – es ist weiterhin schwierig miteinander. Fragen werden an Anderson und an E. Maaß gestellt und die Antworten darauf sind einfach eine Fortsetzung des Films. Dann regt sich heftiger Protest: Einige Frauen stehen auf und empören sich darüber, dass S. Anderson mit diesem Film erneut eine Bühne geboten wird, auf der er sich ausbreiten kann. Es entsteht eine emotionale Diskussion, das, was im Film fehlte, kommt jetzt und das ist vermutlich auch die Idee, die A. K. Hendel bei ihren Filmen hat: Die Menschen zum Fragen und zum Reden (miteinander) zu bringen.
Wie Calvary ( hier geht es ebenfalls um Tabuthemen) ist auch dieser Film der mittlere Teil einer Triologie. “Anderson” und “Vaterlandsverräter” werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Am ehesten spiegeln diese Filme den aktuellen Stand der Aufarbeitung wider. Es sind Filme über Schuld, Verrat, Vertrauen, Moral und den Umgang damit.