Sektion: Forum
von
Ruth Beckermann
Österreich 2018
Deutsch, Englisch, Französisch
Dokumentarische Form
93 Min · Farbe
Weltpremiere
Auf diesen Film machte Charlotte aus der Schweiz mich im Vorfeld aufmerksam. Was sie schrieb, steigerte mein Interesse an diesem Film und ich bin neugierig auf Ruth Beckermann.
„Die Affäre Waldheim“ kennt jedeR, der/die in den 80er Jahren alt genug für ein gewisses politisches Interesse war. Warum dann jetzt – mehr als 30 Jahre später – einen Film darüber?
Ganz einfach: Weil man daran sehen kann, wie die Aufdeckung von (Waldheims) Lügen als Verleumdung darstellt wird – und sich Österreich nicht nur als „erstes Opfer der Nazis“, sondern auch noch als Opfer des Jüdischen Weltkongresses darstellt.
Kurt Waldheim war zuvor österreichischer Außenminister und sogar 10 Jahre lang UN-Generalsekretär. In dieser Zeit hatte sich offenbar niemand für seine Vergangenheit interessiert.
1985 wurde er von der ÖVP als Kandidat zum Bundespräsidenten nominiert. 1986 macht der World Jewish Congress öffentlich, dass seine geschönte Biographie über die Kriegsjahre nicht stimmt und es gibt erste Proteste gegen seine Kandidatur.
Ruth Beckermann war 1986 selbst bei den Protesten gegen Waldheim dabei – und sie hat gefilmt, in einer Zeit, in der das noch nicht so üblich war wie heute. Aus eigenem, aber v.a. aus internationalem TV-Archivmaterial, in dem die damaligen Akteure und „die Stimme des Volkes“ (antisemitisch und hasserfüllt) im Original zu Wort kommen, hat sie einen beeindruckenden Dokumentarfilm gemacht, in dem sie aus heutiger Sicht die Ereignisse von damals klug kommentiert. Es wird deutlich, wie nicht nur W. selbst versucht, die Vorwürfe gegen ihn als „Kampagne gegen das österreichische Volk“ umzudrehen und damit sogar noch Stimmen fängt.
W. wurde gar zweimal zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt. Trotzdem hatte diese „Affäre“ laut R. Beckermann zur Folge, dass sich Teile der österreichischen Gesellschaft anfingen, erstmalig kritisch mit der Vergangenheit und den Nazi-Verstrickungen zu beschäftigen.
was mir besonders hängen blieb:
Waldheim, der Mann, der immer lächelt und der mit seinen riesigen Händen in der Luft rum rührt.
Sinowatz‘ Satz: „Wir nehmen zur Kenntnis, dass er nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd bei der SA gewesen ist“
Tom Lantos, als (einziger) sowohl Holocaust-Überlebender als auch Amerikanischer Kongress-Abgeordneter, der in einem Hearing W.’s Sohn Gerhard weise und geradezu einfühlsam konfrontiert, wohingegen Gerhard Waldheim blass und erbärmlich wirkt.
Obwohl es nicht die erste Berlinale-Aufführung ist, kommt Ruth Beckermann erfreulicher Weise für die Q&A ins Kino. Dabei wird natürlich die aktuelle politische Situation in Österreich thematisiert und R. B. beschreibt, wie jetzt schon in den ersten Wochen der neuen Regierung die neuen Nazis Probleme kreieren, wo keine sind, um sie dann als Mittel zu nutzen, ihre Interessen durchzusetzen. – Damit bekommt der Film eine Aktualität, die bei Drehbeginn nicht abzusehen war.
Interview Knut Elstermann mit Ruth Beckermann unter https://www.radioeins.de/themen/kunst_kultur/berlinale/berlinale/