Sektion: Berlinale Special Gala
von
Rupert Everett
Deutschland / Belgien / Italien 2017
Englisch, Französisch, Italienisch
105 Min · Farbe
Wie ich jetzt weiß, haben wir Rupert Everett schon am Vorabend beim Promi-schauen gesehen, aber nur retrospektiv anhand des Fotos in der Sonntagsausgabe des Tagesspiegel erkannt.
Da klingt auch schon ein Problem des Filmes an: Rupert Everett ist Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur dieses Films – als Hauptdarsteller irritiert er mich die ganze Zeit. Mit dem Drehbuch-Autor würde ich gerne über seine Motivation sprechen.
Aber zuerst zur (Vor-)Geschichte:
Oscar Wilde (1854 – 1900) war nicht nur ein spannender Autor, sondern auch ein skandalunwitterter Teil der Londoner Gesellschaft im Viktorianischen England und bekannt als Dandy. Das hat er selbst inszeniert und genossen, so wurde er gefeiert. Er war verheiratet und hatte zwei Söhne, und er liebte Männer. 1895 kam es zu einem Skandal und drei Prozessen, während derer Wilde vom Ankläger zum Angeklagten wurde und schließlich wegen Unzucht zu zwei Jahren Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt wurde. – (Vertiefendes ist nachzulesen auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Oscar_Wilde ).
Im Film geht es um die Zeit nach seiner Entlassung im Mai 1897. Er verließ England, versuchte sich unter dem Namen Sebastian Melmoth vor der anhaltenden gesellschaftlichen Ächtung zu schützen und floh nach Frankreich, Belgien, Italien und dann wieder Frankreich, wo er veramt, krank und isoliert bis zu seinem Tod lebte. Ihm bleiben einige Freunde (Colin Firth als treuer Freund Reggie Turner gefiel mir sehr gut), konkurrierende Liebhaber und zwei Straßenjungs, – dem einen erzählt er Geschichten, mit dem anderen schläft er. In opulenten, teilweise deftigen Bildern, Rückblenden, Traumbildern wird seine tragische Geschichte und sein Sterben in einem Pariser Hotel erzählt. Es gibt schöne und anrührende Bilder, aber auch ein paar eklige. Oscar Wilde wird in keiner Weise idealisiert, dafür stehen der Anrührende, Liebe Suchende, Gebrochene, Verfolgte, dem Ungerechtigkeit widerfuhr neben dem Überheblichen, Missbräuchlichen, Selbstsüchtigen, Verschwenderischen, Ignoranten.
Gestört hat mich die ganze Zeit, dass Rupert Everett zwar engagiert, aber auch hölzern spielt und ich finde, man sieht die leidenschaftlich gemachte, aber nicht funktionierende Maske. Er sieht immer aus wie Rupert Everett (groß, schlank, steif) mit schlecht sitzendem Fatsuit, der Oscar Wilde (groß, aufgedunsen, krank) spielt und obwohl R.E. sogar älter ist als O. Wilde zum dargestellten Zeitpunkt, passt das irgendwie alles nicht. – Stephen Fry spielte Oscar Wilde Ende der 1990er Jahre und sieht ihm auch noch recht ähnlich – ihn fand ich viel überzeugender. Soweit ich das überblicke ist R. Everetts Film aber näher an der historischen Realität.
Ich habe Oscar Wildes Bücher früher verschlungen und einige mehrmals gelesen. Das ist lange her, geblieben ist mir die Erinnerung an Wortwitz, Klugheit und eine gewisse Zartheit. Das „Bildnis des Dorian Grey“ hat mich lange beschäftigt und seine Biographie schon damals ziemlich aufgewühlt. Deshalb interessierte mich dieser Film. Ich gehe mit gemischten Gefühlen raus, da steht Begeisterung neben Befremdung – gar nicht so schlecht eigentlich.
Der aktuelle Filmtitel stammt von der 1888 erschienenen und für seine Söhne geschriebenen Märchensammlung (The Happy Prince and Other Stories).
