Heute sehen D. und ich
Sektion: Forum
Den‘ Pobedy / Victory Day
von
Sergei Loznitsa
Deutschland 2018
Russisch, Deutsch, Englisch
Dokumentarische Form
94 Min · Farbe
Weltpremiere
Die BerlinerInnen kennen vermutlich die alljährlich zum 9. Mai (Tag des Sieges der Roten Armee über Nazideutschland) mit schweren Motorrädern anreisenden russischen Rocker, die reichlich martialisch aussehen. – Die begegneten uns u.a. in diesem Film.
Er begann allerdings mit zwei völlig skurrilen Szenen:
1. Zwei Gruppen von jeweils 3 jungen Männern in russischen Uniformen üben Marschieren und wirken dabei gar nicht überzeugend.
2. Einige Männer mit roten Nelken im Arm, roten Sternen auf den Kopfbedeckungen und zwei Terriern, die in in einem Geschirr einen kleinen gelben Wagen mit weiteren Nelken, zwei riesigen roten Fahnen und einem Stalin-Portrait ziehen.
Es gibt im Treptower Park ein riesiges Sowjetisches Ehrenmal, das sowohl Mahnmal als auch Friedhof von über 7.000 in der Schlacht um Berlin gefallenen russischen Soldaten ist. Jedes Jahr zum 9. Mai findet hier eine Volksfest ähnliche Veranstaltung statt, russische Familien, ehemalige Soldaten, Angehörige von Gefallenen, deutsche Schaulustige, ernsthaft Gedenkende und Spinner verschiedener Nationen, Menschen in Uniformen, Trachten, Jeans,… treffen sich, feiern, gedenken, singen patriotische russische Lieder, tanzen, laufen rum, fotografieren, legen Blumen ab, essen, trinken.
Sergei Loznitsa und sein Team haben Kameras aufgestellt, die das Treiben von verschiedenen Standpunkten aus filmen. Es gibt keinen Kommentar und nur den Fokus, der durch die aufgestellte Kamera entsteht. Man hört unterschiedliche Geräusche, manchmal Gesänge, manchmal Gespräche (jeweils mit englischen Untertiteln), nicht immer zum Bild passend.
Während des Schauens fühlt sich für mich etwas bekannt an – mich erinnert die Atmosphäre des Films (nicht des Ortes) an den Film „Austerlitz“, den ich vor einiger Zeit gesehen habe. – Kein Wunder, es ist der selbe Filmemacher http://www.dejavu-film.de/index.php?article_id=57
Bei „Austerlitz“ störte mich vieles, das klingt hier auch an, aber ist doch was anderes, denn in „Austerlitz“ drehte er Besucher verschiedener KZ-Gedenkstätten auf eine Art, die voyeuristisch fand; hier feiern Leute, – der unterschiedliche Kontext wirkt auch anders auf mich.
Was an Eindrücken bleibt:
Gedenken drückt sich hier in „ein Foto mit dem Handy machen“ aus. Statt inne zu halten wird geknipst und weiter gegangen.
Der Deutsche, der erklärt, dass der Krieg noch nicht zu Ende ist und in Deutschland überall Nazis leben, der Russe, der darauf anwortet, „das hier ist eine Demokratie! Nimm mal Geschichtsunterricht!“
Leider ist S. Loznitza nicht da, er filmt in der Ukraine. (Jahrgang 1964, geboren in der Weißrussischen Sowjetrepublik, heute Republik Belarus, in Kiew aufgewachsen, seit 1996 hat er 18 Dokumentar- und 3 Spielfilme gemacht.)
Seine Tochter vertritt ihn bei den Q&A, aber das bringt nicht viel.